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Alle zehn Jahre ein Weltklassespieler aus Hessen

Frankfurt (KAT) In der hessischen Sportszene tummeln sich einige viel versprechende Nachwuchstalente. Die Frankfurter Rundschau hat einige aufgespürt und in der Ausgabe vom 7.11.05 darüber berichtet. Unter anderen wurde von Katja Sturm auch Erfolgstrainer Helmut Hampl gefragt und HTTV-Nachwuchs-Ass Patrick Franziska begutachtet.

Tischtennis-Landestrainer Helmut Hampl über erfolgreiche Talentsichtung, individuelle Voraussetzungen und die Probleme beim weiblichen Nachwuchs

Frankfurter Rundschau: Herr Hampl, was macht Ihrer Meinung nach Talent aus?
Helmut Hampl: Da spielen sehr viele Faktoren eine Rolle: beim Tischtennis
das Ballgefühl, die Lernfähigkeit, die Leistungsfähigkeit und das Umfeld.


Wie bitte? Umfeld gehört zum Talent?

Natürlich. Wenn ich niemanden habe, der mich zum Training fährt, oder ich
habe niemanden im familiären Umkreis, der mich unterstützt, kann ich nicht
gut werden.


Was braucht es darüber hinaus, damit ein Talent wirklich gut wird?

Wir reden von Kindern zwischen acht und zehn Jahren, für die entscheidet
sich in den folgenden sechs bis acht Jahren, wo der Weg hingeht, ob er vom
Leistungssport zum Hochleistungssport führt. Da spielt die Pubertät eine
sehr große Rolle. Es gibt viele, die in der Pubertät aus dem Leistungssport
zurücktreten, weil es zu anstrengend wird.


Woher wissen Sie, wie viel Sie in ein Talent investieren sollten?

Ich investiere als Trainer erstmal alles in einen Spieler, weil ich ja nie
sagen kann, wie weit er kommt. Man merkt erst nach drei bis vier Jahren, wie
er sich entwickelt, wo die Grenzen sind. Wir versuchen, jeden optimal zu
fördern. Irgendwann wird sich die Spreu vom Weizen trennen, man erkennt, wie
belastbar, lernfähig der Spieler ist, ob auch das Umfeld stimmt, um ihn ganz
nach oben zu bringen. Da muss man dann selektieren.


In welchem Alter haben Sie Timo Boll in die Hände bekommen?

Mit acht Jahren.


Und wann wussten Sie, dass aus ihm ein ganz Großer werden kann?

Mit elf.


Warum?

Man hat ein Gefühl dafür als Trainer.


Entwickelt sich dieses Gefühl oder wird es einem in die Wiege gelegt?

Das sind Erfahrungswerte. Ich mache jetzt mit vielen Spielern etwas anders
als vor 26 Jahren. Man entwickelt sich ja als Trainer ständig weiter.


Wie ging es weiter mit Timo Boll?

Ich bekomme im Schnitt alle Spieler mit acht bis zehn Jahren in die Hände.
So ist unser Sichtungssystem aufgebaut. Jörg Roßkopf ist mit neun Jahren
hierher gekommen, Timo Boll mit acht. Die Spieler werden nicht nach Alter,
sondern nach Spielstärke in Trainingsgruppen eingeordnet. Timo Boll hat
natürlich rasend schnell die erste Stufe übersprungen, war nach einem halben
Jahr schon über sie hinaus und mit zwölf im Hochleistungstraining; mit 14
hat er Bundesliga gespielt - das ist schon eine Ausnahme.


Auch in der Hinsicht, dass eigens für ihn in seiner Heimat Höchst im
Odenwald eine Trainingsgruppe installiert wurde.

Das ist etwas ganz anderes. Die Trainingsgruppe ist erst installiert worden,
als Timo Boll 14 Jahre alt war. Damals war Gönnern in die Erste Bundesliga
aufgestiegen, und da muss man wesentlich mehr Zeit für das Training
aufbringen als in der Zweiten. Timo ging damals noch zur Schule und hat dort
Freiräume für das vormittägliche Training bekommen, sodass wir das Training
nach Höchst verlegt haben. Anders hätte er das gar nicht leisten können.

Wie hoch ist das Risiko, wenn man für einen Spieler so viel investiert, dass
er es vielleicht doch nicht schafft?

Ich habe nicht alles für einen Spieler getan.


Aber sehr viel.

Ich versuche, für alle Spieler das Gleiche zu tun. Timo Boll ist ein
Ausnahmeathlet, aber alle anderen haben auch die Möglichkeit, in dieses
Fahrwasser zu gelangen. Wenn sich einer hervortut, muss er besonders
gefördert werden. Aber Timo ist bis zu seinem 12., 13. Lebensjahr gelaufen
wie alle anderen.

Wie oft gibt es solche Ausnahmen?

Bei meinen Analysen hat sich ein Zehn-Jahres-Schritt ergeben: Jörg Roßkopf,
zehn Jahre später Timo Boll und zehn Jahre später vielleicht wieder ein
überragender Spieler.


Ist einer in Sicht?

Wir haben zwei, drei in Sicht. Wie sie sich entwickeln, kann man noch nicht
sagen.


Woran liegt es, dass Hessen so viele herausragende Talente hervorbringt?

Ich glaube, es liegt am System, Talente gibt es in ganz Deutschland.


Wie sichten Sie die Talente?

Bei hessischen Jahrgangsmeisterschaften, für die sich die Talente über
Kreise und Bezirke in den Klassen bis acht, neun und zehn Jahre
qualifizieren. Die Verbandstrainer sichten dort 24 Talente. Die werden nach
Frankfurt zu einem Lehrgang eingeladen. Dabei bleiben 14 übrig. Diese kommen
zur Stufe zwei, einem Lehrgang, wo diejenigen gesichtet werden, die ab
Januar in den Kader kommen. Dann haben wir noch einen Kreis von
Talentspähern, die uns Berichte von Kreis- oder Bezirksveranstaltungen
zukommen lassen. Anhand dieser haben wir ein Förderkreissystem entwickelt,
das einmal im Monat stattfindet. Dahin werden die gesichteten Talente
eingeladen. Und wenn die Verbandstrainer sie für ausreichend talentiert
halten, können sie noch in den Sichtungszyklus nachrücken.


Sollte man Talente Ihrer Meinung nach zentralisieren?

Es muss eine Mischform geben. Wir zentralisieren auch. Im Internat hier in
Frankfurt haben wir zur Zeit fünf Spieler und würden das gerne auf zehn
ausbauen. Vier- oder fünfmal Training in der Woche reicht nicht aus, um
wirklich Spitze zu werden. Man kann nicht überall ein Modell schaffen wie
das für Timo Boll, wo man vor Ort auf sechs oder acht Einheiten kommt.


Sehen Sie sich im Verhältnis zu anderen Sportarten in einer Art
Vorreiterrolle?

Man muss auch das Finanzielle sehen, die Mittel werden immer knapper. Ich
bin zwar sehr erfolgreich, aber aus Sicht des Verbandes steigen die Preise
und nicht die Einnahmen. Vielleicht müssen wir auch kürzen, Sachen anders
gestalten oder mit weniger Leuten arbeiten (derzeit vier hauptamtliche
Landestrainer, Anm. d. Red.) - ich kann nicht sagen, was 2006, 2007, 2008
wird. Aber wenn wir das hier so aufrechterhalten können, haben wir die
Chance, über Jahre hinweg absoluten Spitzensport zu treiben.


Wo lässt sich in dem System noch etwas verbessern?

Überall, aber dazu bräuchte man mehr Geld, und wir sind schon auf der
höchsten Förderstufe. Dann könnte man hier etwas Einmaliges produzieren.
Mein Traum wäre es, ein Nationalteam zu stellen, das komplett aus dem
hessischen Landesverband kommt.


Woran scheitert ein Talent meistens auf dem Weg in die Spitze?

Vor allem im weiblichen Bereich ändert sich in der Pubertät die Einstellung
zum Leistungssport. Die Jungen sind da belastbarer. Die verlieren wir eher
mit 18, 19, wenn sie nicht nahtlos aus dem Jugend- in den Erwachsenenbereich
übergehen können.


Wollen noch genügend Kinder den schweren Weg in den Leistungssport gehen?

Im männlichen Bereich haben wir keine Probleme, im weiblichen muss ich jedes
Mädchen nehmen, das die Halle betritt, egal, ob es den Schläger halten kann
oder nicht.


Sind die Kinder heutzutage nicht mehr so sportlich wie früher?

Als ich angefangen habe, brauchte man nicht so viel Koordinationstraining im
Anfängerbereich zu machen wie zurzeit. Die Kinder waren mehr vorgebildet.
Interview: Katja Sturm


Autor: Katja Sturm




Patrick Franziska - Tischtennisspieler
Die Gegner gut im Blick




Der linke Arm spielt mit. Vielleicht fühlt er sich ein wenig zu kurzgekommen, wo der andere doch so fleißig sein darf. Mit dem Schläger in derrechten Hand prügelt Patrick Franziska mal auf den kleinen Zelluloidball ein,mal hebt er ihn sanft übers Netz, minutenlang, mit kleinstmöglichenUnterbrechungen. Der linke Arm rudert dabei wild auf und ab. Nach achtMinuten ist Schluss, kurze Pause, Übungs- oder Gegnerwechsel. Zeit für einenkleinen Schluck aus der Pulle, einen kurzen Wortwechsel. Dann geht dasTraining in der Frankfurter Sportschule, dem Stützpunkt des HessischenTischtennis-Verbandes (HTTV), weiter. Dreimal in der Woche übt der 13-jährige Patrick hier mit Ball und Schläger, ergänzt durch ein bis zweiEinheiten in Höchst und in seinem Verein, dem SV Mörlenbach. Sein Ziel istklar: "Es so weit wie möglich bringen."Ein größeres Stück des Weges zu einem eventuellen Profidasein liegt bereitshinter dem Jungen aus Nieder-Klingen / Otzberg. Vor sechs Jahren begann ermit Tischtennis, weil schon die Eltern den Sport ausübten, erst, wie seinVorbild Timo Boll, beim TSV Höchst, jetzt in der Oberliga beim SV Mörlenbach,"weil Höchst nicht so hoch spielt". Der Vater war damals mitgewechselt, "erwill immer bei mir in der Mannschaft spielen - wenn die ihn wollen". Zudemsteht Patrick, der mit sieben oder acht auf Landesebene als Talent gesichtetwurde, seit zwei Jahren im Bundeskader und hat schon einige internationaleAuftritte hinter sich, den größten im Sommer bei der Schüler-EM in Prag.Eigentlich nur als vierter Mann und "ein bisschen aufgeregt" mitgereist,gewann der Jüngste im DTTB-Team von Spiel zu Spiel an Selbstvertrauen,drehte einige Rückstände noch um und hatte entscheidenden Anteil amBronzemedaillengewinn."Er hat die Gabe, seinen Gegner zu beobachten und auf dem falschen Fuß zuerwischen", sagt HTTV-Cheftrainer Helmut Hampl über seinen Schützling. Under besitze "eine angeborene Spielintelligenz". Die beschert Patrick einenErfolg nach dem anderen, zuletzt den Sieg beim nationalen Top 48 der Schüler.Dafür verzichtet der dreifache Hessenmeister auf einiges. Früher habe eroft Fußball gespielt, jetzt weniger, um sich nicht zu verletzen. Liebersucht er mittags Ruhe, um im Training alles zu geben.

Katja Sturm

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